Das wusste schon der alte Goethe und daran hat sich bis heute nichts geändert. Selbstwahrnehmung heißt im wahrsten Sinn des Wortes „sich selbst für wahr nehmen“. Sie ist immer auch die Frage danach, wie ticke ich, was treibt mich an und was macht mich aus. Und sie ist extrem wichtig für die Kommunikation, sowohl im Job als auch privat. Aber wie schärfen Sie Ihre Selbstwahrnehmung? Indem Sie Andere fragen! Fremdwahrnehmung kann Ihnen präzise zurückmelden, was die Anderen von Ihnen mitbekommen, wie sich Ihr Verhalten auf sie auswirkt und was Sie besser machen können.
Manchmal ist es ein schmerzhafter Vorgang zu hören, dass wir in einer Situation „etwas falsch“ gemacht haben. Doch das ist nicht zu vermeiden, wenn wir uns weiterentwickeln wollen. Weil es aber beim Feedback geben immer wieder zu großen Missverständnissen kommt, habe ich einmal die wichtigsten Regeln zusammengestellt.
Zunächst drei wichtige Punkte für den Anfang:
Nehmen wir Persönlichkeitsentwicklung wörtlich: Da entwickelt sich eine Persönlichkeit, er/sie wickelt sich aus. Bis der Mensch ganz so wird, wie er gemeint ist.
Hurra, Sie dürfen besser werden! Und Probleme überwinden!
Selbstverständlich laufen alle Hinweise durch Ihren Filter. Würden Sie versuchen, es jedem Recht zu machen, wären Sie ja ein Fähnlein im Wind – und ziemlich im Stress.
Schauen wir uns einen Beruf an, für den Feedback ganz selbstverständlich ist:
Vieles, was Schauspieler tun, finde ich nicht nachahmenswert für andere Branchen. Eine Haltung jedoch halte ich für absolut beispielhaft, weil sie wirklich förderlich für die Ergebnissteigerung sowohl bei der Arbeit als auch privat ist:
Stellen Sie sich vor, Sie sind der Regisseur eines Theaterstücks und befinden sich in den Endproben kurz vor der Premiere, also in den Proben, in denen alle Gewerke wie Ton, Licht, Bühne, Maske, Kostüm, Requisite usw. zusammen mit den Schauspielern an der Probe beteiligt sind. Der Durchlauf, also die eigentliche Probe, dauert in der Regel so lange wie das Stück, also ca. 2 ½ Stunden. Die anschließende Besprechung kann jedoch gerne auch mal doppelt so lang sein. Da hocken dann alle zusammen und gehen gemeinsam Szene für Szene durch. Alle haben – wenn sie Profis sind – einen Block und etwas zu schreiben mit, denn alle wissen: Das sind wichtige Punkte, die hier besprochen werden. Wenn Sie jetzt einen Schauspieler traurig machen wollen, so genügt es völlig, ihm nichts zu sagen. Er wird unter Garantie nach der Probe zu Ihnen kommen und fragen: „Was kann ich besser machen?“ Wenn Sie ihm dann sagen: „Nichts, war alles prima so“, wird der Schauspieler nach Hause gehen und denken: „Diese Probe war für mich verschenkt. Ich habe nichts Neues lernen können.“
Diese offene Haltung, diesen selbstverständlichen Umgang mit Feedback, gemeinhin „Kritik“ genannt, habe ich in anderen Branchen selten angetroffen. Kritik wird viel zu oft mit Angriff gleichgesetzt, bedroht mich als Person und muss selbstverständlich vermieden werden. Wie schade! So wird eine große Chance zur Veränderung nicht genutzt.
Woran liegt es, dass Schauspieler das so viel besser können als andere? Gerne würde ich behaupten, weil wir die besseren Menschen sind. Bedauerlicherweise stimmt das nicht. Nein, das hat etwas mit dem Selbstverständnis eines Schauspielers für seine Arbeit zu tun: Uns ist im Probenstadium immer bewusst, dass wir noch nicht fertig sind, noch im Produktionsprozess. Und dass wir besser werden, wenn wir auf Anregungen anderer eingehen. Und dass es spannend und zutiefst befriedigend ist, seine Arbeit immer weiter fortzuentwickeln. Die wirklich guten Kollegen haben diese Bereitschaft auch nach der 200. Theatervorstellung noch. Das ist wahrer Anfängergeist!
Von der Grundeinstellung der Schauspieler ihrer Arbeit gegenüber können Sie sich, wenn Sie wollen, inspirieren lassen. Es ist auffällig, dass auch alle charismatischen Menschen sie verinnerlicht haben – sie stünden sonst mit Sicherheit nicht dort, wo sie jetzt stehen. Damit das aber gut funktioniert, gilt es ein paar Regeln zu beachten.
Ich habe sie in der „Er“-Form geschrieben, sie sind aber selbstverständlich für beide Geschlechter gedacht.
„Darf ich dazu etwas sagen?“ ist ein gutes Entrée. Und auch wenn Ihr Gegenüber Zustimmung signalisiert, achten Sie im weiteren Verlauf auf seine Körpersignale. Möglicherweise ist dessen „Festplatte“ bald voll. Vergewissern Sie sich dann, ob Sie weitermachen dürfen. Falls die Rückmeldung nicht eindeutig „Ja“ ist, macht es keinen Sinn mehr weiterzureden. Nichts ist schlimmer als ein ungebetener Rat: „Auch ein Ratschlag ist ein Schlag.“
Falls Sie nur negative Punkte für Ihr Gegenüber haben, fragen Sie sich, warum Sie Feedback geben wollen. Möglicherweise wollen Sie nur Ihren Unmut äußern. Das ist Krieg verkleidet als Feedback. Funktioniert nach meiner Beobachtung nie. Überlegen Sie zuerst: Was ist liebenswert, beispielhaft, imponierend an Ihrem Gegenüber oder dem, was er getan hat? Mangelnde Wertschätzung der zu beurteilenden Person führt immer zu Widerstand – berechtigterweise.
Allgemeine Einschätzungen wie „Du wirkst viel zu dominant“ sind nicht praktisch greifbar. Eine konkrete Benennung wie: „Nach dieser Äußerung hat sich der Kollege nicht mehr am Gespräch beteiligt“ ist nachvollziehbar und eindeutig. Bei einem Vortrag oder einer Präsentation ist es auch hilfreich mitzuteilen, wann Sie gedanklich ausgestiegen sind und warum. In den seltensten Fällen hat es mit dem Inhalt, sehr oft aber mit der Energie des Vortragenden zu tun. Diese Rückmeldung wird selten gegeben, ist aber enorm wertvoll.
„Bitte nicht falsch verstehen“ weckt nach meiner Erfahrung schlafende Hunde und ist deshalb eher schädlich. Wenn Sie mit der inneren Haltung in das Gespräch gehen, dass Sie sich dem Gegenüber wertschätzend verbunden fühlen, dürfen Sie „alles“ ansprechen, getreu Ihrem Auftrag.
„Auf mich hat das arrogant gewirkt“ lässt dem Anderen die Wahl, ob es für ihn auch so stimmt. „Du bist viel zu arrogant“ klingt nach Festlegung: „So bist du und nicht anders.“ Wir wissen nicht, ob der Andere wirklich arrogant ist. Vielleicht ist er auch nur unsicher und wollte es verbergen. Schneller als mit Du-Botschaften können wir Widerstand nicht hervorrufen.
Allein schon durch den Vorgang des Feedback-Nehmens macht jemand „auf“ und wird dadurch angreifbar. Sätze wie „So ein Verhalten geht gar nicht“ oder „Das ist ja völlig unmöglich von Dir“ wirken wie eine Verurteilung und rufen Gefühle von Scham und Schuld hervor. Und wie immer, wenn sich ein Teil von uns abqualifiziert fühlt, entzieht sich dieser Teil unserer Betrachtung. Mächtig und handlungswirksam bleibt er aber trotzdem. Für den Feedback-Geber bedeutet das, dass er seine Aufgabe schlecht erledigt: Statt den Impuls für eine mögliche Änderung zu geben, sorgt er dafür, dass die Verhaltensweise sich zementiert. Nichts wirkt so stabilisierend auf ein Verhalten wie Schuld und Scham. Das sollte der Feedback-Geber nicht zusätzlich durch eine moralische Verurteilung provozieren.
Kein Gang ins Museum! Olle Kamellen sind wahrscheinlich toxisch und deshalb kein Feedback sondern Sondermüll. Das muss in einem anderen Gesprächsrahmen entsorgt werden.
Das heißt, er wird den Feedback-Geber ausreden lassen und nicht unterbrechen. Nur Nachfragen zum Verständnis sind erlaubt, wenn eine Aussage nicht eindeutig und klar ist. Entschuldigungen, Rechtfertigungen und Erklärungen sind verboten! Sie dienen nur dazu, die eigentliche Botschaft abzuwehren.
Sonst besteht die Gefahr, die wichtigsten Hinweise im „Abwehrmodus“ unter den Tisch fallen zu lassen.
Einer der größten Widerstände gegen Feedback entsteht durch den Irrglauben, der Feedback-Nehmer müsse die Hinweise 1:1 umsetzen. Weit gefehlt! Damit müssten Sie ja nach Lust und Laune Ihrer Feedback-Geber mal so, mal so reagieren, hätten keine eigene Haltung. Alle Informationen müssen immer und zwingend durch Ihre „Zensur“. Sie entscheiden, was Sie beachten und umsetzen werden. Nur ist es ratsam, diesen Filter erst später einzuschalten und erst mal die Hinweise unzensiert entgegen zu nehmen. Mein Kontroll-System schmeiße ich erst nach dem Gespräch an, um wertvolle Hinweise nicht zu früh zu löschen.
Je fachkundiger mein Gegenüber ist, desto wertvoller werden seine Hinweise für mich sein.
Wenn ich mehrmals hintereinander von „Laien“ auf denselben Sachverhalt hingewiesen werde, bewege ich den Punkt erneut in meinem Herzen, auch wenn ich mir ursprünglich sicher war, dass er für mich irrelevant ist.
Eine offene Rückmeldung ist ein wertvolles Geschenk, viel kostbarer als jedes Kompliment.
Ich benutze auch nach 30 Jahren auf der Bühne und vor der Kamera jede Gelegenheit, um mir Feedback einzuholen. Sobald Kollegen in meinen Vorträgen sitzen, bitte ich sie jedes Mal, mitzuschreiben, was ihnen auffällt. Für mich ist diese Art von Vergewisserung sehr gut. Es würde mir komisch vorkommen, wenn ich eine Chance dazu auslassen würde. Es bereichert und inspiriert meine Arbeit ungemein. Übrigens auch zu hören, was die Kollegen gut fanden. Manches „passiert einfach so“, ist noch unbewusst. Wenn ich höre, dass es ein positives Echo hervorruft, kann ich es bewusst wiederholen. Sonst ist die Gefahr sehr groß, dass es einmalig bleibt.
Diese Strategie macht sich nach meiner Erfahrung auf jeden Fall bezahlt. So können wir mit etwas Achtsamkeit unsere Stärken stärken. Die Gedanken und Tipps der Anderen bringen uns in Kontakt mit unserem Potenzial – und das ist wesentlich größer, als wir selbst es für möglich halten.
Feedback ist im Wortsinn rückwärts gerichtet, gibt eine Rückmeldung für etwas Vergangenes. Marshall Goldsmith hat den Punkt weiterentwickelt. Wenn Sie in diesem Punkt die „Extra-Meile“ gehen wollen, fragen Sie Ihre Kollegen, Mitarbeiter, Lebenspartner oder Kinder: „Was kann ich tun, um Dir ein besserer Kollege/Mitarbeiter/Partner/Vater/Mutter zu sein?“
Die Frage ist so ungewohnt, dass Sie sich an vielen verblüfften Gesichtern erfreuen können.